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Zwischen Geld- und Personalnot: Wie weiter mit Sachsens Krankenhäusern?

Die Sachsen leben immer länger – auch dank besserer Medizin. Doch die kostet. Die Beiträge sind auf Rekordhöhe, Reformen sollen's richten. Aber noch sind viele Fragen ungeklärt.
01.11.2023

Mit der vom Bund geplanten Krankenhausreform soll alles besser werden: mehr Behandlungsqualität, weniger Eingriffe aus rein finanziellem Kalkül, weniger Schreibkram. Doch Experten warnen vor dem Gegenteil – einer spürbaren Verschlechterung der medizinischen Versorgung. "Wir leben noch auf der Insel der Glückseligen", sagt Josef Hecken. 

Er ist Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses, des höchsten Selbstverwaltungsgremiums im deutschen Gesundheitswesen. "In Zeiten, wo das Geld sprudelte, wurden immer neue Leistungen beschlossen. Dabei haben wir nicht beachtet, wohin wir uns entwickeln: In 15, 16 Jahren gibt es in Deutschland 5,2 Millionen multimorbide Menschen mehr, aber sechs Millionen Erwerbsfähige weniger – und damit auch weniger Ärzte und Pfleger, die sie versorgen."

Es sei schön, dass der medizinisch-technische Fortschritt ein längeres Leben ermögliche. So gibt es in Sachsen schon heute mehr als 1.300 über 100-Jährige. "Doch die Schlüsselfrage für die Zukunft heißt: Wie lässt sich die wachsende Morbiditätslast auch in ländlichen Regionen mit dem komplexer werdenden Behandlungsbedarf vereinbaren und zu gesellschaftlich akzeptablen Bedingungen finanzieren?"

Beiträge auf Rekordhöhe

Die Gesundheitsausgaben steigen immer weiter. Allein für die Krankenhäuser werden die Gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr über 90 Milliarden Euro ausgeben. Gleichzeitig haben die Beitragssätze für die Versicherten einen Höchststand erreicht. Zum 1. Januar soll erneut nicht nur die Beitragsbemessungsgrenze, sondern auch der Zusatzbeitrag steigen. Leistungskürzungen hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ausgeschlossen.

Seine Krankenhausreform soll‘s richten, soll stationär und ambulant besser verzahnen. Josef Hecken geht allerdings davon aus, dass das Reformgesetz nicht wie geplant im Januar, sondern frühestens zum 1. April in Kraft treten kann. "Zu viele Fragen sind noch offen", sagt er auf einer Fachveranstaltung der Techniker Krankenkasse Sachsen in Dresden. Im November sollen deshalb in Berlin noch einmal die Ministerpräsidenten gehört werden.

Die Zeit drängt. Fast 70 Prozent der deutschen Krankenhäuser gehen laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts davon aus, dass ihre Existenz gefährdet ist. "Zwar haben wir in Sachsen schon einen Strukturwandel hinter uns", sagt Friedrich München, Chef der Krankenhausgesellschaft Sachsen. "Doch auch in unseren 76 Krankenhäusern ist die Besorgnis groß. Denn sie leiden unter chronischer Unterfinanzierung." Problem sind vor allem die gestiegenen Personalkosten, die laut Hecken etwa 65 Prozent der Klinik-Ausgaben ausmachten, aber auch höhere Sach- und inflationsbedingte Kosten.

200 Millionen Euro fehlen

Mit der Paracelsus-Klinik im vogtländischen Reichenbach musste Ende März bereits ein sächsisches Krankenhaus wegen Insolvenz schließen. Weitere Kliniken arbeiten nicht kostendeckend, auch weil die Fallzahlen gesunken sind. "Für 2024 rechnen wir mit etwa 200 Millionen Euro, die Sachsens Krankenhäusern allein bei den Betriebskosten fehlen", sagt München.

Das Land Sachsen will nicht warten, bis die Krankenhausreform des Bundes greift. Denn die Umsetzung von strukturellen Veränderungen wird mehrere Jahre dauern. Zum 1. Januar soll ein neuer Krankenhausplan für den Freistaat in Kraft treten, der "evolutionär statt revolutionär" die Weichen für die Zukunft stellt, wie Dagmar Neukirch, Staatssekretärin im Sächsischen Sozialministerium, erklärt. Die größten Herausforderungen seien dabei die sinkende, aber älter werdende Bevölkerung und der Fachkräftemangel. Es müsse gelingen, eine flächendeckend gute Grundversorgung zu sichern und gleichzeitig alle Bürger am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen. Neukirch: "Erreichbarkeit ist für uns ein wichtiges Qualitätskriterium." Allerdings könne nicht jede Klinik die höchsten Behandlungsstufen anbieten.

Nicht alles mehr bezahlbar

Bundesausschuss-Chef Hecken spricht von einem Spagat zwischen Basis- und Spezialversorgung. "Nicht alles ist mehr überall bezahlbar. Und nicht immer ist die nächstgelegene Klinik auch die beste." Denn wissenschaftlich sei bei vielen Eingriffen belegt, dass die Sterblichkeit steigt, wenn eine bestimmte Mindestfallzahl unterschritten werde.

Zwar ist Krankenhausplanung Ländersache. Doch Hecken appelliert an die politischen Verantwortlichen und an die Bevölkerung, angesichts medizinischer Fakten auch schmerzhafte Entscheidungen mitzutragen – selbst wenn die nächste Wahl bevorstehe. "Derzeit wird zum Beispiel dagegen Sturm gelaufen, dass ab Januar Frühchen unter 1.250 Gramm Geburtsgewicht nur noch von Kliniken versorgt werden dürfen, die mindestens 25 statt bislang 20 solcher Fälle im Jahr haben", sagt er. Sei ein vielleicht weiterer Weg zu einer solchen Klinik nicht gerechtfertigt, wenn dafür mehr dieser Frühchen überlebten?

Hunderte Ärzte gehen in Rente

Gesetzlich vorgeschriebene Versorgungsstufen und Leistungsgruppen sollen künftig regeln, an welchem Krankenhaus was angeboten wird. Einige Häuser werden abrüsten müssen, andere aufrüsten. Noch wird hier auf Bundesebene um Details gerungen. "Allerdings haben wir heute schon Krankenhausträger, die Fachabteilungen auch deshalb aufgeben müssen, weil das nötige Personal fehlt", sagt Sachsens Krankenhauschef München. Der Vizechef der Sächsischen Landesärztekammer, Uwe Köhler, berichtet von ähnlichen Erfahrungen: "Hochgradige Leistungsverdichtung und Überbürokratisierung haben zu einer Flucht von Ärzten und Pflegekräften geführt." Staatssekretärin Neukirch sieht aber auch einen Gegentrend: "Durch die gestiegenen Löhne sind Berufe im Gesundheitswesen attraktiver geworden. Das belegen Ausbildungszahlen."

Was Jan Anastassis Skuras vom Sächischen Hausärzteverband bei all den Diskussionen über neue Krankenhausstrukturen vermisst, ist die Rolle der ambulanten Versorgung. "Unsere Praxen sind jetzt schon überfüllt", sagt Skuras. Und in den kommenden Jahren gehen Hunderte niedergelassene Ärzte in den Ruhestand. Skuras wünscht sich eine sektorübergreifende Planung. Die allerdings scheitert laut Krankenhausgesellschaftschef München bislang vor allem an den alten Vorgaben für Zulassung und Vergütung.

Einig sind sich alle Gesundheitsakteure aber in einem: Es braucht zusätzlich Geld, um die nötige Umstrukturierung zu organisieren. Und zwar schnell. Josef Hecken rechnet deutschlandweit mit 50 Milliarden Euro. Karl Lauterbach schweigt.

Artikel der "Sächsischen SZ" vom 01.11.2023